Die „Zeit der Memoranden“, also der mit den Kreditprogrammen verbundene Sparkurs, in Griechenland ist vorbei – so sagt es die Regierung. In der Praxis sieht es anders aus. Den Rentnern in Griechenland steht, wenn sich bis Ende des Jahres nichts an der Vereinbarung der Regierung von Alexis Tsipras und den Kreditgebern ändert, die nächste Rentenkürzung bevor.

Sie wird einigen der Ruheständler ein um 18 Prozent geringeres Einkommen bescheren. Im öffentlichen Dialog beteuert Tsipras, dass er sich bemühe, die von ihm im griechischen Parlament per Gesetz beschlossene - und ab 1.1.2019 wirksame - Kürzung wieder zurückzunehmen. Denn, so Tsipras, die Rentenkürzung würde für die Staatsfinanzen keinen Gewinn bringen.

Diesen öffentlichen Äußerungen des Premiers stehen die vollkommen entgegengesetzten Praktiken seiner Regierung gegenüber. Leidtragende sind die Rentner, die seit 2010 immer wieder Kürzungen hinnehmen müssen, selbst aber wegen der bestehenden Gesetze und auch wegen der hohen Arbeitslosenquote keine Chance haben, ihre Budgetplanungen durch Arbeit auszugleichen.

Was wird diesmal gekürzt?

Die aktuell diskutierte Rentenkürzung betrifft die so genannte „persönliche Differenz“. Dabei handelt es sich um einen vom damaligen Arbeitsminister und heutigen Vize-Außenminister Giorgos Katrougalos eingeführten Begriff. Katrougalos hat eine Rentenreform zu verantworten, mit der neuen Rentnern -im Vergleich zu früheren- eine geringere Rente ausgezahlt wird. Renten vor dem Stichtag, dem 12. Mai 2016, sollten von den Kürzungen nicht betroffen sein, hieß es damals.

Katrougalos hatte auch ihre Renten nach der gleichen Methode wie die neuen Renten berechnen lassen, gewährte aber eine „persönliche Differenz“, sprich eine Zusatzzahlung in Höhe des Differenzbetrags zur bislang ausgezahlten Rente. Diese persönliche Differenz wurde dann später auf Druck der Kreditgeber mit Wirkung zum 1.1.2019 per Gesetz gestrichen. Sie soll stufenweise abgeschafft werden, womit ab dem neuen Jahr für die Rentner, die bereits am 12. Mai 2016 als Ruheständler registriert waren, die Minderung der ausgezahlten Renten eintritt. Dies gilt für die gesetzlichen Renten ebenso, wie für die Zusatzrenten, die allein aus Mitteln der Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert werden.

Darüber hinaus haben diese Ruheständler ebenso wie ihre jüngeren Kollegen auch noch weitere Kürzungen des netto zur Verfügung stehenden Einkommens hinzunehmen. Zum 1.1.2019 steigen für „nicht aktiv Berufstätige“ die Krankenkassenbeiträge um 17,64 %. Sämtliche Zuschläge, wie sie bislang für Familien gezahlt wurden, fallen ebenfalls weg. Zudem sinkt 2020 der Steuerfreibetrag auf 5.680 Euro. 2014 betrug er noch 9.545 Euro. In der griechischen Presse ist von Verlusten von bis zu drei Monatsrenten die Rede.

Anhand der Pensionen des öffentlichen Dienstes lässt sich gut abschätzen, um welche Beträge es geht. Die öffentliche Hand zahlt im Schnitt die höchsten Ruhebezüge. Im März 2018 kosteten die 471.845 Pensionäre des Staats 500,226 Millionen Euro an Rentenzahlungen pro Monat, 6,0027 Milliarden pro Jahr.

Für 2019 ist eine Kürzung um 1,121 Milliarden Euro vorgesehen, was für diese Sparte der Pensionäre eine höhere Kürzung als die genannten 18 Prozent ergibt. Die ab 2019 vorgesehenen 4,8817 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten statistisch pro Rentner einen Verlust von 2371 Euro, oder 2,24 Rentenauszahlungen jährlich. Wenn dazu noch die höhere Steuerbelastung gerechnet wird, wird deutlich, wie viele Einschnitte die insgesamt 20 Rentenkürzungen seit 2010 den Ruheständlern beschert haben. Die Mindestrente, das Existenzminimum für all jene, welche die notwendigen Versicherungsjahre eingezahlt haben, fiel von 486 Euro auf 392,7 Euro.

Die bisherigen Rentenkürzungen

  1. Vor dem Gang zum IWF und bevor der erste Kreditvertrag unterschrieben wurde, strich die damalige Regierung des Sozialdemokraten unter Giorgos Papandreou die 13. und 14. Rente, welche dem deutschen Weihnachts- und Urlaubsgeld entsprechen.
  2. 2011 folgte für Rentner unter 60 eine gestaffelte Kürzung, die von sechs Prozent für Renten ab 1700 Euro startete und für Renten höher als 3000 Euro zehn Prozent vorschrieb.
  3. Ebenfalls 2011 wurde eine Solidaritätsabgabe für Renten eingeführt. Diese ist von drei bis 13 Prozent gestaffelt. Für Zusatzrenten wurde die Abgabe von drei bis zehn Prozent festgelegt.
  4. Schließlich bescherte der erste Kreditvertrag den neuen Rentnern Kürzungen. Früh Verrentete unter 55 mussten 40 Prozent Abzüge hinnehmen, für Ältere betrug der Abschlag 20 Prozent. Gleichzeitig wurden die Zusatzrenten für Beträge über 150 Euro monatlich um 15 bis 30 Prozent gekürzt.
  5. Mit dem 2. Kreditvertrag gab es ab Januar 2012 neue Kürzungen. Für die gesetzlichen Renten über 1300 Euro monatlich wurden bis zu zwölf Prozent abgezogen. Bei den Zusatzrenten gab es erneute Abzüge für Renten, die für Beträge über 250 Euro zehn Prozent betrugen, für höhere Renten von 251 bis 300 Euro, waren es 15 Prozent und darüber hinaus waren 20 Prozent fällig.
  6. Bei der nächsten Kürzung (2012) wurden die gesetzlichen Renten zusammen mit den Zusatzrenten erfasst. Lag die Summe bei 1000 – 1500 Euro, wurden fünf Prozent abgezogen. Von 1500 – 2000 Euro waren zehn Prozent fällig, von 2000 – 3000 Euro waren es 15 Prozent, darüber hinaus wurden 20 Prozent abgezogen.
  7. 2014 wurden sämtliche Zusatzrenten pauschal um 5,2 Prozent gekürzt.
  8. Frührentner bekamen einen Abzug von zehn Prozent.
  9. Mit dem dritten Kreditprogramm, dem von Alexis Tsipras, gab es ab dem 1.6.2016 für 250.000 Rentner eine Kürzung von 40 Prozent bei den Zusatzrenten.
  10. Die Rentenausgleichszahlung EKAS wurde für 160.000 Bezieher niedriger Renten gestrichen.
  11. Die Dividendenzahlungen des Rentenzusatzfonds wurden um bis zu 45 Prozent gekürzt.
  12. Alle neuen Rentner mussten mit dem Gesetz von Giorgos Katrougalos um 30 Prozent verminderte Renten hinnehmen.
  13. Die Renten wurden auf maximal 2000 Euro (gesetzliche Rente) und 3000 Euro (Summe mehrere Renten) gedeckelt.
  14. Kürzung der Hinterbliebenenrenten. Diese werden nur noch für Personen ausgezahlt, die älter als 55 sind und auf 50 Prozent der Rente des Verstorbenen gedeckelt. Für Hinterbliebene ab 52 gibt es für drei Jahre eine Hinterbliebenenrente und danach bis zum Erreichen des 67. Lebensjahrs keine Zahlung mehr. Für jüngere als 52 gibt es nur drei Jahre lang eine Hinterbliebenenrente. Eine Ausnahme stellen Mütter unmündiger Kinder dar. Diese erhalten die Hinterbliebenenrente bis zur Volljährigkeit des Kindes oder bis zum Ende des Studiums an einer Hochschule, maximal jedoch bis zum 24. Lebensjahr des Kindes.
  15. Wer zusätzlich zur Rente einem Nebenerwerb nachgeht, bekommt eine Kürzung der Rente von 60 Prozent.
  16. Die Pensionssonderzahlungen für Angestellte des öffentlichen Dienstes - das sogenannte Efapax - welches Pensionäre bei Eintritt in den Ruhestand als einmalige Sonderzahlung erhalten, wurden um 15 – 20 Prozent gekürzt.
  17. Die Gesundheitsabgaben von Rentnern wurden von vier auf sechs Prozent erhöht. Darüber hinaus wurden zum ersten Mal in der Höhe gleiche Beiträge für die Zusatzrenten fällig.
  18. Ab dem 1.1.2018 fiel der Steuerrabatt von 1,5 Prozent für die bei der Rentenauszahlung einbehaltenen Steuern weg.
  19. 2019 wird die Rentenausgleichszahlung EKAS für alle Bezieher niedriger Renten gestrichen.
  20. Die ab dem 1.1.2019 beschlossene Rentenkürzung gilt für mehr als 900.000 Rentner

Die einzelnen Regelungen sind im Detail höchst kompliziert und für die Betroffenen kaum durchschaubar. Die Rentner des Landes ziehen vor Gericht, um sich gegen die Kürzungen zu wehren. Dabei haben sie ausgerechnet die Regierung zum Gegner, deren Regierungschef, Alexis Tsipras, in seinen politischen Reden über die Sinnlosigkeit der Rentenkürzungen philosophiert.

Denn, so geht aus einer Berufungsklage des dem Staat unterstehenden Sozialversicherungsträgers EFKA hervor, die „Kürzungen dienen dem öffentlichen Interesse“ und stehen somit über den verfassungsmäßig garantierten Rechten für die Bürger. EFKA reagierte mit der Berufung auf eine Klage der Rentner gegen die von 2010 bis 2012 erfolgten Kürzungen.

Fazit: Für Tsipras Sonntagsreden sind die Rentenkürzungen ein unnötiger Einschnitt, gegen dessen Durchführung er zu kämpfen verspricht. In der Praxis sind sie für seine Regierung alternativlos.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"